Samstag, 30. April 2016

Raw Materials and Resources - Part 11

Von der Gaia-Theorie zu Thanatia – thermodynamische Modelle des Ressourcenverbrauchs

Nach der Gaia-Theorie ist die Erde und ihre Biosphäre ein großes Gesamtsystem, bei dem alle Lebewesen miteinander in Wechselwirkung stehen und voneinander abhängig sind. Es wird hierbei angenommen, dass die Organismen mit der anorganischen Umwelt der Erde in Wechselwirkung stehen und dadurch ein sich selbst regulierendes System entsteht. Dieses komplexe System sorgt dafür, dass die Bedingungen für das Leben auf der Erde aufrechterhalten werden. In diesem Zusammenhang wird diskutiert, wie die Biosphäre und die Evolution der Lebensformen die Stabilität der globalen Temperatur beeinflussen. Weitere Faktoren, welche die Bewohnbarkeit der Erde beeinflussen, sind u.a. der Salzgehalt der Ozeane, sowie der Sauerstoff- und der CO2-Gehalt in der Atmosphäre. (Quellen: Wikipedia in Deutsch oder besser der umfangreichere Artikel in Englisch)

Im Gegensatz zu Gaia ist Thanatia ein grauer toter Planet, bei dem alle Ressourcen gleichmäßig über die Erdoberfläche verteilt sind. Es gibt keine Minerallagerstätten mehr, sondern alle Elemente sind durch die Tätigkeit der Menschen mehr oder weniger gleichmäßig verstreut. Dieses Schreckensszenario ist der Ausgangspunkt des Buches "Thanatia - the Destiny of the Earth's Mineral Resources" (von A. V. Capilla und A. V. Delgado, erschienen bei World Scientific, New Jersey 2015). In diesem Buch wird eine streng thermodynamische Theorie zum Verständnis der Ressourcenausbeutung entwickelt.
Die Autoren fragen sich, ob aus unserem Planeten ein ausgebeutetes Thanatia ohne Ressourcen werden könnte. Wie lange kann unsere High-Tech-Gesellschaft noch aufrechterhalten werden, wenn die Erzgehalte der Minerallagerstätten immer niedriger werden; wenn wir von kritischen Metallen abhängig sind, die so gut wie gar nicht recycelt werden und wenn die Dispersion der Metalle immer schneller voranschreitet? Das sind alles Ursachen für zukünftige Problemfelder die heute schon bearbeitet werden sollten. Das Buch präsentiert einen Ansatz „cradle-to-cradle“ für die abiotischen Ressourcen der Erde. Dieser Begriff umschreibt das vollständige Recycling aller produzierten Güter. Der Ansatz der Autoren beruht auf dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik: Wärme verteilt sich gleichmäßig, Materialien zersetzen sich und werden verstreut. Durch das Postulat von Thanatia vermitteln uns die Autoren ein Gefühl für das Schicksal der Materialien und für die Notwendigkeit, die abiotischen Ressourcen der Erde weise zu nutzen. Über die rein thermodynamische Beschreibung der Materialverteilung hinaus kann das Buch als Nachschlagewerk genutzt werden. Es enthält Stoffdaten von mehr als 300 Substanzen, Statistiken zu Bodenschätzen, Energieverbrauch, über den Umwelteinfluss des Bergbausektors und über weltweite Recyclingraten.
Weiterführende Links:



Ergänzung 2020: Im Zusammenhang mit obigem Post ist die Gaia-Theorie von Interesse. Leser können sich über die entsprechenden Wikipedia-Artikel einen Einstieg in dieses Thema erarbeiten. Der englischsprachige Wikipedia-Eintrag scheint hierbei fundierter zu sein.
James Lovelock, einer der Begründer der Gaia-Theorie, hat gerade wieder ein Buch veröffentlicht, siehe nachfolgendes Icon. Seiner Meinung nach stehen wir an der Schwelle eines neuen Zeitalters - dem Novozän. Er bezeichnet damit das Zeitalter der Hyperintelligen, in dem aus künstlicher Intelligenz neue Lebewesen entstehen. 

Samstag, 23. April 2016

Raw Materials and Resources - Excursus D

Was nützen uns Modelle?

Im vorigen Post wurde das HANDY-Modell zur gesellschaftlichen Entwicklung und zum Ressourcenverbrauch vorgestellt. Nun könnte sich mancher Leser fragen: Was nützen uns überhaupt solche Modelle? Daher an dieser Stelle noch ein paar ergänzende Sätze zu „Modellen“ in der Wissenschaft: Modelle sind eine wichtige Methode, um komplexe Sachverhalte verständlich darzustellen. Kein Modell kann die Zukunft exakt vorhersagen, aber ein gutes Modell sollte uns eine Vorstellung davon vermitteln, was auf uns zukommen könnte. Auf dem Gebiet des Ressourcenverbrauchs sind Modelle eine wichtige Hilfe. Die weltweite Ökonomie beruht auf der Verfügbarkeit von mineralischen und biologischen Ressourcen. Aber mineralische Ressourcen sind nicht-erneuerbar und auch biologische Ressourcen können durch Raubbau erschöpft sein, wie es bereits vielfach in der Geschichte passierte. 
Quelle: U. Bardi, A. Lavacchi: A Simple Interpretation of Hubbert’s Model of Resource Exploitation, Energies 2009, 2, 646-661. 


Weiterführende Literatur:

Samstag, 16. April 2016

Raw Materials and Resources - Part 10

Gesellschaftliche Entwicklung und Ressourcenverbrauch – das HANDY-Modell

Das wohl jüngste Modell zur Beschreibung der gesellschaftlichen Entwicklung und des Ressourcenverbrauchs hat die griffige Abkürzung „HANDY“ erhalten. Diese Abkürzung wird in dem Artikel „Human and Nature Dynamics (HANDY): Modeling Inequality and Use of Resources in the Collapse or Sustainability of Societies” von S. Motesharrei, J. Rivas und E. Kalnay eingeführt (Ecological Economics, 101 (2014) 90–102). Die Autoren modellieren darin den Ressourcenverbrauch und das Bevölkerungswachstum. Sie zeigen unterschiedliche Entwicklungsszenarien auf. Je nach angesetzten Parametern für Bevölkerungswachstum, Ressourcenverbrauch und gesellschaftliche Verhältnisse kommt es zu einem Kollaps der Gesellschaft oder zu einer nachhaltigen Entwicklung, bei der sich ein Gleichgewicht einstellt (siehe Abbildung). 


Ausgangspunkt dieser Arbeiten ist die Sorge um den gegenwärtigen nicht nachhaltigen Ressourcenverbrauch. Zu Beginn werfen die Autoren einen Blick auf die Vergangenheit und zählen verschiedene Beispiele aus der Geschichte auf, in denen Zivilisationen zusammenbrachen. So wird z.B. der Zusammenbruch des römischen Imperiums genannt. Auf diesen folgten Jahrhunderte mit Bevölkerungsrückgang, ökonomischem Niedergang und dem Verlust von Wissen. Weitere Beispiele für untergegangene Hochkulturen sind Mesopotamien, Ägypten und die Maya-Zivilisation. In der Argumentation der Einleitung erinnert der Text ein wenig an Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes", geht aber im Weiteren deutlich über eine bloßes Beobachten von Erscheinungen hinaus. Verschiedene Umwelteinflüsse und soziale Verhältnisse wurden bisher zur Erklärung des Zusammenbruchs von Gesellschaftsordnungen herangezogen. Bislang gibt es kein allgemeines Modell zur Erklärung dieser Erscheinungen.
Die Autoren schlagen ein Modell der menschlichen Populationsdynamik vor und modellieren damit verschiedene Szenarien. Das Modell berücksichtigt die ökonomische Ungleichheit zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Zur Vereinfachung wird zwischen „Commoners“ (gemeines Volk, Bürgerliche) und Eliten unterschieden. Die Bevölkerungsgruppen werden mit einem Raubtier-Beute-Modell kombiniert. Dabei werden die Menschen in vereinfachter Form als „Raubtier“ angesehen, die die Schätze der Natur ausbeuten („Beute“). Das Modell beruht auf einem Satz von vier Gleichungen, die voneinander abhängig sind. In der Mathematik wird das als lineares Gleichungssystem bezeichnet. Die HANDY-Gleichungen sind folgende:

für die gemeine Bevölkerung („Commoners“):         xC = βCxC – αCxC

für die Elite:   xE = βExE – αExE

für die Natur:  y = γy(λ-y) – δxcy

für den Wohlstand: w = δxCy – Cc – CE

Dabei ist „γy(λ-y)“ der Regenerations-Term und „δxcy“ der Abbau-Term. Der Regenerationsterm ist als logistische Funktion formuliert mit einem Regenerationsfaktor γ und einer Sättigung, wenn sich y an λ annähert. Dabei ist λ die maximale Kapazität der Natur. CC und CE sind die Konsumraten der Bevölkerung und der Eliten.
Das in dem Artikel vorgeschlagene Modell weist zahlreiche Vereinfachungen und Schwächen auf. Darauf weisen die Autoren auch hin und kündigen Weiterentwicklungen an. So werden z.B. die natürlichen Ressourcen grob vereinfachend in eine einzige Gleichung gepresst. In diese Gleichung gehen ein:
  • nichterneuerbare Ressourcen wie fossile Brennstoffe und Minerallagerstätten,
  • erneuerbare Ressourcen (Wälder, Böden, Tierherden, Fischbestände, Wildbestände, Grundwasser),
  • erneuerbare Ströme (Wind, Sonnenstrahlung, Niederschläge, Flüsse)
Zukünftige Versionen des Modellierungsprogramms sollen diese Formen der Ressourcen unterscheiden. Technologischer Fortschritt und sich ändernde Effizienz bei der Ressourcenausbeutung werden bisher nicht berücksichtigt. Der Unterschied im Einkommen zwischen Elite und Bevölkerung wird durch einen Faktor beschrieben. Dieser wird im bisherigen Modell konstant gehalten.

Die vier oben genannten Gleichungen reichen aus, um verschiedene gesellschaftliche Entwicklungsszenarien aufzuzeigen. Ökonomische Schichtenbildung oder übermäßige ökologische Beanspruchung können unabhängig voneinander zum Kollaps der Gesellschaft führen. Im Weiteren wird der Maßstab „Belastungsfähigkeit“ (Carrying Capacity) entwickelt. Dieser ist ein geeignetes Maß, um das Nahen eines Kollapses frühzeitig zu erkennen. Das Modell ist auch zur Beschreibung historischer Zusammenbrüche geeignet. Mit Hilfe des vorgeschlagenen Modells kann ein Kollaps der Gesellschaft vermieden werden. Dazu muss sich die Bevölkerungszahl auf ein stabiles Maß einpegeln, bei dem die maximale Belastungsfähigkeit der Natur nicht überschritten wird.



Links:
  • Zur Rezeption des "HANDY"-Modells in der Öffentlichkeit: "When a theoretical article is misinterpreted" Before a paper on the HANDY model was published, findings were taken out of context in some press accounts; here, the authors explain their research

Samstag, 2. April 2016

Raw Materials and Resources - Excursus C

Exponentielles Wachstum

Im letzten Post wurden exponentielle Wachstumsprozesse erwähnt. So vermehren sich z. B. Bakterien extrem schnell. „Bei günstigen Bedingungen teilen sie sich alle 20 - 30 Minuten. Bei ungehemmtem Wachstum könnten demnach innerhalb von wenigen Tagen so viele Bakterien entstehen, dass die ganze Erde von einer 30 Zentimeter hohen Schicht bedeckt wäre. Unter natürlichen Bedingungen aber wird diesem exponentiellen Wachstum durch Platz- oder Nährstoffmangel und durch Anreicherung toxischer Stoffwechselprodukte vorzeitig ein Ende gesetzt.“ (Quelle) Exponentielles Wachstum ist für den menschlichen Verstand schwierig zu verstehen. Daher führen solche rasanten Wachstumsprozesse häufig zu irrationalen Ängsten. Einige Beispiele aus der letzten Zeit sind unter der Überschrift „Exponentielles Wachstum ist nicht beherrschbar“ ein einem Artikel in der „Welt“ vom 15.09.14 zusammengefasst. Dort heißt es unter anderem: „Exponentielles Wachstum ist vom Menschen nicht zu stoppen. Beispiel Ebola: Die Zahl der Opfer verdoppelt sich alle drei Wochen. Und auch die CO2-Konzentration könnte plötzlich exponentiell zunehmen.“
Manfred Eigen erklärt die Zusammenhänge zwischen exponentiellen Wachstumsprozessen in der Biologie und deren Begrenzung durch Mangel sehr sachlich in seinem Buch: „Jenseits von Ideologien und Wunschdenken“. Darin heißt es unter anderem: „Lebewesen entstehen durch Reproduktion schon vorhandener. Im einfachsten Fall bedeutet Reproduktion eine geometrische Progression: 1, 2, 4, 8, 16, 32 … Allen derartigen Progressionen ist gemeinsam, dass die Mengen in gleichen Zeitabschnitten um den gleichen Faktor zunehmen, im Unterschied zu arithmetischen Progressionen, bei denen die Mengen in den gleichen Zeitabschnitten um den gleichen Betrag zunehmen.“ Mathematisch betrachtet handelt es sich bei einem exponentiellen Wachstum um eine e-Funktion: y=ex. Diese Funktion ist im Vergleich mit anderen Funktionen in Abbildung 1 dargestellt.
Abbildung 1: Grafische Darstellung von Wachstumsprozessen.

„Nichts kann in einer endlichen Welt unendlich werden.“ (Manfred Eigen) Daher werden exponentielle Wachstumsprozesse immer durch Mangel begrenzt und es kommt zu nicht vorhersehbaren Diskontinuitäten. Dabei geht das exponentielle Wachstum häufig in eine logistische Kurve über. Dabei ist es egal, ob es sich um das Wachstum der Weltbevölkerung, Bakterienpopulationen oder Ebola-Kranke handelt.
Abbildung 2: Allgemeine Form der logistischen Kurve.

Die logistische Kurve hat einen typischen S-förmigen Verlauf (siehe Abbildung 2) und wird durch folgende Funktion beschrieben:
a, b und c sind Konstanten, a und c sind größer als 0. Wenn b größer 0 ist, dann beschreibt die Funktion einen Wachstumsprozess, wenn b kleiner 0 ist, einen Zerfallsprozess. Es gibt zwei horizontale Asymptoten: eine bei y=0 und die andere bei y=c. Die Funktion hat ihren Wendepunkt bei 0,5c. (Quelle)

Die Idealform der logistischen Kurve (a in Abbildung 3) findet man bei verschiedenen biologischen Experimenten. Es kann sich dabei um das Wachstum von Stangenbohnen, das Wachstum einer Bakterienkultur oder die Anzahl von Fruchtfliegen in einer Flasche handeln. Voraussetzungen sind dabei ein konstantes Nahrungsangebot und eine abgeschlossene kontrollierte Umgebung mit gleichmäßigen Bedingungen für das jeweilige Experiment. Die logistische Kurve findet man auch in anderen Bereichen: die Streckenlänge von Eisenbahnlinien, der Lebenszyklus eines Produktes am Markt, die Entwicklung des Erwerbs der Muttersprache oder die Ausbreitung von ansteckenden Krankheiten sind weitere Beispiele.
Abbildung 3: Formen logistischer Kurven bei der Annäherung an den Sättigungswert nach de Solla Price.

In der Realität beobachtet man allerdings häufig Kurven, die vom idealen S-förmigen Verlauf deutlich abweichen (b bis d in Abbildung 3). Die verschiedenen Abweichungen hat Derek J. de Solla Price in seinem Buch „Little Science, Big Science“ beschrieben. In den Produktionszahlen von technischen Rohstoffen wie Kohle, Stahl oder Kupfer treten häufig Oszillationen auf. Diese können konvergent (b) oder divergent oszillieren (c). Allerdings weisen statistische Daten des U.S. Geological Survey darauf hin, dass bei zahlreichen Bodenschätzen immer noch ein exponentielles Wachstum der Produktionsziffern vorliegt (Quelle: Historical Statistics for Mineral and Material Commodities in the United States, U.S. Geological Survey Data Series 140).

Es gibt auch eskalierende Kurven (d), bei denen mehrfach ein scheinbarer Sättigungswert angesteuert wird. Durch Änderung der äußeren Bedingungen kann es aber zu erneutem Wachstum kommen. Beispiele für solche Eskalationen sind:
  • Die Zahl der Universitätsgründungen. Eine erste Stufe wurde ca. 1600 mit dem Einsetzen der Renaissance, die zweite Stufe während der industriellen Revolution überschritten.
  • Die Energie von Teilchenbeschleunigern. Jede neue technologische Enzwicklung auf diesem Gebiet führt zu einem erneuten Wachstumsschub (Quelle: M. S. Livingston und J. P. Blewett: “Particle Accelerators”, McGraw-Hill Book Company Inc., New York 1962, Seite 6, Abb. 1-1).
  • Die Zahl der bekannten chemischen Elemente über der Zeit (Abbildung 4). In der Antike waren nur zehn Elemente bekannt. Ab 1730 findet ein exponentielles Wachstum statt. Dieses erreicht den Wendepunkt etwa 1810 als Sir Humphry Davy mehrere Elemente entdeckt hatte. Als die ersten 60 Elemente entdeckt waren, kam es zu einer Abschwächung des Wachstums, die erste „Stufe“ war erreicht. Ende des 19. Jahrhunderts führten physikalische Methoden zur Entdeckung neuer Elemente (radioaktive Elemente, Edelgase, Lanthanoide). Dabei wurden mehrere Eskalationsstufen in der Statistik überwunden. Im zwanzigsten Jahrhundert wurden zahlreiche kurzlebige Elemente entdeckt. Gegenwärtig werden nur noch sehr wenige und sehr instabile Elemente nachgewiesen. Somit hat die Wachstumskurve hier (vorerst) eine Sättigungsgrenze erreicht.

Abbildung 4: Schematische Darstellung der Entdeckungsgeschichte der chemischen Elemente, nach de Solla Price.

Die Entdeckungsgeschichte der Elemente zeigt sehr gut, wie menschlicher Erfindergeist immer wieder vorgegebene Grenzen überwindet. Ob dies auch bei der Gewinnung und Nutzung natürlicher Ressourcen gelingt, bleibt noch abzuwarten.