Sonntag, 20. März 2011

Was geschah in Fukushima?

Das Erdbeben
Am 11. März 2011 ereignete sich ein großes Erdbeben vor der Pazifikküste im Osten Japans. Die Stärke des Erdbebens betrug entsprechend der Momenten-Magnitude Mw = 8,9. Es war das stärkste Beben in Japan seit Beginn der Erdbebenaufzeichnungen. Bereits zwei Tage vorher gab es ein Beben der Stärke 7,2. Beben dieser Stärke kommen in Japan häufiger vor. Die Momenten-Magnitude ist eine logarithmische Skale. Daher war das Erdbeben vom 11. März 50 mal stärker als das Vorbeben vom 9. März! Informationen zum Ablauf der Erdbeben finden Sie auf den Seiten des Geoforschungszentrums Potsdam.

Der Reaktorunfall
Bei den Atomreaktoren am Standort Fukushima handelt es sich um Siedewasserreaktoren (siehe Beitrag weiter unten "Aufbau eines Siedewasserreaktors"). Als das Erdbeben die Atomreaktoren am 11. März erreichte, wurden diese automatisch abgeschaltet. Wenige Sekunden nach Beginn des Erdbebens wurden die Steuerstäbe in die Reaktorblöcke eingefahren. Dies ist trotz Stromausfall über ein hydraulisches System möglich, bei dem die Energie zur Bewegung der Steuerstäbe in Drucktanks gespeichert ist (Fail-Safe-System). Die Leistung der Reaktoren fiel daraufhin auf ca. 7% der normalen Wärmeleistung. Die entstehende Restwärme muss weiterhin abgeführt werden. 
Durch das Erdbeben kam es in den Kraftwerksanlagen zu einem Versagen der elektrischen Energieversorgung. Die Diesel-Notstromaggregate sprangen an und versorgten das Kraftwerk die erste Stunde nach dem Erdbeben mit Strom, um die Hochdruckpumpen für die zusätzlichen Kühlanlagen am Laufen zu halten.  
Mit dem Eintreffen des Tsunamis wurden die Notstromaggegate allerdings überflutet und fielen aus. 
Als weitere Sicherheitsmassnahme standen Notbatterien zur Verfügung. Diese hielten die Kühlanlagen für weitere 8 Stunden am Laufen! Nach diesen 8 Stunden waren die Batterien leer und es war nicht mehr möglich die Restwärme der Reaktoren über die Kühlkreisläufe abzuführen.
Eine weitere  Möglichkeit der Kühlung bestand darin, von Zeit zu Zeit Wasserdampf aus dem Reaktorbehälter abzulassen. Das Ablassen von Wasserdampf kann allerdings dazu führen, dass  die Brennstäbe nicht mehr vollständig mit Wasser bedeckt sind. Brennelemente, die frei liegen, werden nicht durch die neutronenabsorbierende Wirkung des Wassers gebremst und auch nicht gekühlt, so dass sie sich immer weiter erhitzen. Falls die Temperaturen dabei über 800 °C steigen, kommt es durch die Reaktion der zirconiumhaltigen Hüllrohre der Brennstoffelemente mit Wasserdampf zur Freisetzung von Wasserstoff. Beim Ablassen von Wasserdampf entweicht der Wasserstoff dann mit in das Reaktorgebäude und sammelt sich unter der Decke des Gedäudes. Dies war sicher die Ursache der Explosionen in der Reaktorgebäuden 1, 2 und 3. 
Durch das Ablassen von Wasserdampf aus dem Reaktorbehälter sinkt der Wasserstand darin immer weiter. Deshalb entschied man sich als weitere Maßnahme dazu, Meerwasser in die Reaktoren zu pumpen. Das Meerwasser wurde mit Borsäure versetzt. Diese dient als Neutronenabsorber und soll die Kernspaltung weiter abbremsen.

Verteidigung in der Tiefe
Ein grundlegendes Prinzip der Konstruktion von Atomreaktoren ist die "Verteidigung in der Tiefe" ("Defence in Depth"). Diese Herangehensweise verlangt, dass ein Reaktor so konstruiert wird, dass er mehrere ernsthafte Katastrophe überstehen kann, sogar wenn verschiedene Sicherheitssysteme gleichzeitig ausfallen. Die erste Sicherheitsmaßnahme war die Schnellabschaltung des Reaktors, die zweite der Einsatz der Dieselgeneratoren, die dritte die Notbatterien. Als schließlich diese versagten, wurde eine weitere "Verteidigungslinie" errichtet, indem man von Zeit zu Zeit Druck aus dem Reaktor abließ, versuchte zusätzliche Pumpen heranzuschaffen und  die Stromversorgung wieder in Gang zu setzen. Das Fluten mit Meerwasser sollte nunmehr zumindest die Kernschmelze der Reaktoren verhinden. Selbst wenn eine Kernschmelze in einem der Reaktoren eintreten sollte, so gibt es immer noch ein zusätzliches Containment, welches so kosntruiert ist, dass es einen geschmolzenen Kern von heißem Uran auffangen soll. Dieser Bereich müsste dann verschlossen werden, so dass möglichst keine Radioaktivität in die Umgebung austritt.

Fazit
Bisher sind nur geringe Mengen Radioaktivität (Beim Ablassen von Dampf) in die Umgebung entwichen. Nach verschiedenen Einschätzungen handelt es sich um einen INES-Unfall der Stufe 4. Momentan sieht es so aus, als würden die Ingenieure der Betreiberfirma die Reaktoren unter Kontrolle bringen.
Durch das größte Erdbeben seit Beginn der Aufzeichnungen und den folgenden Tsunami sind mehr als 20000 Menschen gestorben. Diese Zahl ändert sich täglich. Die durch das gleiche Erdbeben verursachten Reaktorunfälle haben bisher kein einziges Menschenleben gekostet. (Das kann sich natürlich noch ändern.) Dieser Vergleich ist nicht zynisch gemeint! Aber behalten Sie doch bitte die Relation im Auge: Auf der einen Seite viele Tausende Tote durch eine Naturkatastrophe, auf der anderen Seite technische Apparate (die Atomreaktoren), die trotz dieser Katastrophe noch halbwegs beherrschbar bleiben und nicht einfach explodiert sind. Die Aufregung in Deutschland über die japanischen (und einheimischen) Atomreaktoren läßt viele andere Dinge dagegen in den Hintergrund treten, die vielleicht wichtiger sind.


Text teilweise übersetzt von  Fukushima Nuclear Accident – a simple and accurate explanation bei bravenewclimate.com.   

Nachtrag am 12. April 2011:  Der Reaktorunfall ist von der japanischen Atomsicherheitsbehörde heute auf Stufe 7 der INES-Berwertungsskala hoch gestuft worden. Es gab keine gravierenden neuen Ereignisse, sondern man hat die vorhandenen Daten noch einmal neu bewertet.

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