Donnerstag, 10. März 2011

Gibt es fünf- und sechsfach koordinierte Kohlenstoffatome?

Ja, hier einige Beispiele für reale Verbindungen. Real bedeutet für mich, solche für die auch Einkristall-Strukturanalysen vorliegen.

Beispiel A - "Stachelschwein"-Verbindungen

Erste Beispiele für fünf-und sechsfach koordinierte Kohlenstoff-Verbindungen lieferten Schmidbaur et al. 1988-89. In drei Veröffentlichungen in der Angewandten Chemie stellten sie die Synthesen und die Analyse der Bindungsverhältnisse an zwei Goldclustern vor, die im Zentrum fünf- und sechsfach koordinierte Kohlenstoffatome besitzen. Bei den Verbindungen handelt es sich um [(Ph3PAu)5C]+ BF4- (1) und [(Ph3PAu)6C]2+ [CH3OBF3]2- (2)
Kation von 1 Dikation von 2


Die Literaturstellen in denen das veröffentlicht sind folgen hier:
Für Liebhaber an dieser Stelle noch zwei hoch aufgelöste Molekülbilder. Die Kristallstruktur der fünffach koordinierten Verbindung (1) enthält das Kation [(Ph3PAu)5C]+, das Tetrafluoroborat-Anion (BF4-, rechts) und darüber hinaus noch im Kristallgitter eingeschlossenes Methylenchlorid (CH2Cl2, links).

Die Kristallstruktur der sechsfach koordinierten Verbindung  (2) besteht nur aus dem Kation [(Ph3PAu)6C]2+ und zwei Molekülen des Anions [CH3OBF3]2-.  
Klicken Sie auf die Bilder, falls Sie diese größer sehen wollen! 
Bei beiden Strukturen erkennt man sehr schön die dreidimensionale Umhüllung des Goldclusters mit Triphenylphosphan-Resten, die zur Stabilisierung des Kations beitragen. Die Autoren um Schmidbaur wiesen darauf hin, dass das zentrale Kohlenstoffatom "nicht als hypervalent bezeichnet werden kann." Die Bindungsordnung zwischen dem zentralen Kohlenstoffatom und den umgebenden Goldatomen liegt bei 0,8. Die Stabilität dieser Verbindungen ist vermutlich auf Gold-Gold-Wechselwirkungen zurückzuführen.


 

Beispiel B - Ein Zirconocenderivat 


Ein weiteres Beispiel für eine fünffach koordiniertes Kohlenstoffatom finden wir in der Verbindung
Cp2Zr[CH2(BH{C6F5}2)2] (3). Diese Verbindung entsteht bei der Reaktion von Bis(pentafluorphenyl)boran mit Bis(η5-cyclopentadienyl)dimethylzirconium. Das Zirconiumatom, zwei Boratome und zwei Wasserstoffatome sind an ein Kohlenstoffatom koordiniert. Wenn man eine Erklärung für die Bildung dieser Struktur sucht, so könnte man sagen, dass diese Verbindung durch Verknüpfung eines koordinativ ungesättigten Zirconocen-Dikations [Cp2Zr]2+ mit einem Diboranatomethan-Dianion [CH2(BH{C6F5}2)2] 2- entsteht.









Beispiel C - Ein "nacktes" Neodym-Ion sucht Liganden

Die Verbindung [Nd(AlMe4)3]⋅0.5 Al2Me6 (4) wurde durch Reaktion von Al2Me6 mit [Nd(NMe2)3(LiCl)3] erhalten. Die Molekülstruktur der Verbindung zeigt, dass das Neodymatom symmetrisch von 6 Methylgruppen umgeben ist, die verbrückend an Aluminiumatome gebunden sind. Dadurch sind diese 6 Methyl-Kohlenstoffatome fünffach koordiniert (siehe Abbildung).







Rein formal betrachtet wird ein "nacktes" Neodym(3+)-Ion durch diese sechs Methylgruppen koordinativ umhüllt. Als Triebkraft für die Bildung dieser Verbindung könnte man also die starke koordinative Ungesättigtheit des Neodym-Ions betrachten. Auch diese Verbindunge ist in gewisser Weise ein Exot. Sie ist nur in völlig luft- und wasserfreier Umgebung beständig und zersetzt sich oberhalb von -40 °C! Von der Verbindung wurde eine Strukturanalyse mittels Neutronenbeugung durchgeführt, so dass also auch die Positionen der Wasserstoffatome genau bestimmt worden sind.

Literaturstelle: W. T. Klooster, R. S. Lu, R. Anwander, W. J. Evans, T. F. Koetzle, R. Bau: Neutronenbeugung an [Nd(AlMe4)3]⋅0.5 Al2Me6 bei 100 K: ein erster detaillierter Blick auf eine verbrückende Methylgruppe mit trigonal-bipyramidalem Kohlenstoffatom; Angew. Chemie 110 (1998) 1326–1329.

Es gibt auch eine Reihe verwandter Verbindungen mit verbrückenden Methylgruppen. Diese haben die allgemeine Struktur 5, mit M = Sc, Y, Gd, Dy, Ho, Er, Tm, Yb, siehe J. Holton, M. F. Lappert, D. G. H. Ballard, R. Pearce, J. L. Atwood, W. E. Hunter, J. Chem. Soc. Dalton Trans. 1979, 45. Hierbei kommt das gleiche Prinzip der koordinationschemischen Stabilisierung zum Tragen. Als koordinativ ungesättigtes Fragment wirkt die Metallocen-Einheit (Cp2M+), diese wird durch ein Methylaluminat-Anion (Me4Al-) stabilisiert.




Weitere Ideen und Konzepte zu höher koordinierten Kohlenstoffatomen findet man im Blog von  Henry Rzepa (Imperial College London). Siehe z.B.:
Hierbei stehen allerdings theoretische Überlegungen und berechnete Moleküle im Vordergrund. Deshalb möchte ich diese mehr hypothetischen Verbindungen nicht im Detail diskutieren.




Zurück zu unserer Frage vom Anfang des Artikels: Gibt es fünf- und sechsfach koordinierte Kohlenstoffatome?
Ja, aber das sind besondere Moleküle mit ganz spezieller Koordinationsumgebung. Man könnte sie auch als Exoten bezeichen.

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