Mittwoch, 30. März 2011

Strahlendosis

Beim Auftreffen auf Materie geben alpha-, beta- und gamma-Strahlen Energie ab. Dabei werden Atome und Moleküle angeregt oder sogar ionisiert. Daher wird radioaktive Strahlung auch als ionisierende Strahlung bezeichnet. Auch die Neutronenstrahlung wird zur ionisierenden Strahlung gezählt. Neutronen können zwar nicht direkt mit Elektronen der Elektronenhülle in Wechselwirkung treten, da sie elektrisch neutral sind, sie können jedoch über Reaktionen mit Atomkernen ionisierende Strahlen auslösen.

Die ionisierende Strahlung verursacht physikalische, chemische und biologische Veränderungen in der durchstrahlten Materie. Zur genaueren Beschreibung der Wirkung ionisierender Strahlen wurde der Begriff der Strahlendosis eingeführt. Hierbei wird zwischen Energiedosis und Äquivalentdosis unterschieden. Diese beiden Begriffe möchte ich Ihnen nachfolgend erklären.

Energiedosis
Die Energiedosis D ist die je kg eines beliebigen Stoffes absorbierte Strahlungsenergie. Die Maßeinheit für die Energiedosis ist das Gray (Gy).  Ein Gray entspricht der absorbierten Energie von 1 J/kg.
1Gy = 1 J/kg

Äquivalentdosis
Viel häufiger wird in letzter Zeit jedoch die Äquivalentdosis H diskutiert.Darunter versteht man die absorbierte Strahlungsenergie je Kilogramm biologischem Gewebe, die den gleichen biologischen Effekt hervorruft, wie 1 Gy gamma-Strahlung mit einer Energie der gamma-Strahlung von 200 keV.
Da die einzelnen Strahlungsarten unterschiedlich starke biologische Wirkung haben, verwendet man zur Berechnung der Äquivalentdosis einen Strahlungswichtungsfaktor wR. Die Beziehung zur Berechnung der Äquivalentdosis sieht dann folgendermaßen aus:
H =  wR . D
Die Äquivalentdosis ist das Produkt aus Energiedosis D und Strahlungswichtungsfaktor wR. Die Einheit der Äquivalentdosis ist Sievert (Sv) und auch hier gilt die Umrechnung: 1 Sv = 1 J/kg. Häufig werden Millisievert angegeben, also tausendstel Sievert.

Der Strahlungswichtungsfaktor trägt der unterschiedlich starken biologischen Wirkung der einzelnen Strahlungsarten Rechnung. Hier eine Übersicht über diese Wichtungsfaktoren für einige Strahlungsarten, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Wer es genauer wissen will, schaut bitte in die  Strahlenschutzverordnung der Bundesrepublik Deutschland. In der Anlage VI sind die Wichtungsfaktoren aufgelistet.

Art der Strahlung Energie Strahlungswichtungsfaktor wR
 beta- und gamma-Strahlung  alle Energien  1
 Neutronen kleiner 10 keV  5
 Neutronen  10 bis 20 keV  10
 Neutronen  100 keV bis 2 MeV  20
 Neutronen  2 MeV bis 20 MeV  10
 Neutronen  größer 20 MeV  5
alpha-Teilchen alle Energien 20


Effektive Dosis
Weiterhin muss man noch beachten, dass Strahlung die verschiedenen Gewebe des Körpers in unterschiedlicher Weise schädigt. Während die Haut etwas mehr Strahlung aushält, sind z.B. Keimdrüsen besonders empfindlich. Die aufgenommene Strahlungsdosis muss für eine genauere Abschätzung der Auswirkungen noch entsprechend der verschiedenen Organe gewichtet werden. In diesem Zusammenhang wird von effektiver Dosis gesprochen.

Dienstag, 29. März 2011

Radioaktivität

Radioaktive Strahlung entsteht, wenn Atomkerne in kleinere Atomkerne zerfallen. Der Zerfall von Atomkernen kann unter Aussendung von alpha-, beta- oder gamma-Strahlung erfolgen. Normalerweise verwendet man die griechischen Buchstaben für alpha, beta und gamma. Das macht aber auf einer HTML-Seite Schwierigkeiten. Deshalb werde ich diese Begriffe hier immer ausschreiben.

alpha-Zerfall
Bei Atomkernen hoher Ordnungszahl tritt hauptsächlich alpha-Zerfall ein. Ein instabiler Atomkern zerfällt unter Aussendung eines doppelt positiv geladenen (also gleichsam "nackten") Heliumkerns mit dem physikalischen Symbol 42He. Dieses wird auch als alpha-Teilchen bezeichnet. Der beim Zerfall neu gebildete Kern besitzt eine um vier Einheiten geringere Massenzahl und eine um zwei Einheiten geringere Ordnungszahl.Ein Beispiel ist der Zerfall des Samariumisotps 14662Sm in Neodym (Isotop 14260Nd):   

14662Sm   -->      14260Nd   +   42He   + 2,45 MeV 

beta-Zerfall
Der beta--Zerfall ist relativ häufig, beta+-Zerfall tritt seltener ein.Wenn ein Isotop Neutronenüberschuß besitzt, so kann es unter Aussendung von  beta--Strahlung zerfallen. Bei diesem Vorgang wird ein Neutron in ein Proton und eine Elektron (das beta--Teilchen)  umgewandelt:
10n    --->   11p   +  e-  
Das dabei entstehende Isotop hat eine um eine Einheit höhere Ordnungszahl und die gleiche Massenzahl.
Es gibt ein Isotop des Goldes, welches als beta-Strahler wirkt. Dieses zerfällt unter Bildung eines Quecksilberisotops mit der gleichen Massenzahl aber einer um Eins höheren Ordnungszahl:

19879Au     --->    19880Hg    +  e-    
Der beta+-Zerfall tritt bei Neutronenmangel ein. Hierbei wird ein Proton in ein Neutron und ein Elektron-Neutrino umgewandelt:

11p     --->     10n    +    e+
In der Kernkraftwerkstechnik spielt diese Reaktion jedoch kaum eine Rolle.      

gamma-Strahlen
Gamma-Strahlen treten bei Kernumwandlungen meist zusätzlich zu anderen Strahlungsarten wie alpha- und beta-Strahlung auf. Diese elektromangnetische Strahlung entsteht durch den Übergang eines Atomkerns aus einem angeregten Zustand in einen niedrigeren Energiezustand oder in den Grundzustand. die Ordnungszahl und die Massenzahl des betreffenden Isotops ändern sich nicht bei der Aussendung von gamma-Strahlung.
 

Sonntag, 20. März 2011

Was geschah in Fukushima?

Das Erdbeben
Am 11. März 2011 ereignete sich ein großes Erdbeben vor der Pazifikküste im Osten Japans. Die Stärke des Erdbebens betrug entsprechend der Momenten-Magnitude Mw = 8,9. Es war das stärkste Beben in Japan seit Beginn der Erdbebenaufzeichnungen. Bereits zwei Tage vorher gab es ein Beben der Stärke 7,2. Beben dieser Stärke kommen in Japan häufiger vor. Die Momenten-Magnitude ist eine logarithmische Skale. Daher war das Erdbeben vom 11. März 50 mal stärker als das Vorbeben vom 9. März! Informationen zum Ablauf der Erdbeben finden Sie auf den Seiten des Geoforschungszentrums Potsdam.

Der Reaktorunfall
Bei den Atomreaktoren am Standort Fukushima handelt es sich um Siedewasserreaktoren (siehe Beitrag weiter unten "Aufbau eines Siedewasserreaktors"). Als das Erdbeben die Atomreaktoren am 11. März erreichte, wurden diese automatisch abgeschaltet. Wenige Sekunden nach Beginn des Erdbebens wurden die Steuerstäbe in die Reaktorblöcke eingefahren. Dies ist trotz Stromausfall über ein hydraulisches System möglich, bei dem die Energie zur Bewegung der Steuerstäbe in Drucktanks gespeichert ist (Fail-Safe-System). Die Leistung der Reaktoren fiel daraufhin auf ca. 7% der normalen Wärmeleistung. Die entstehende Restwärme muss weiterhin abgeführt werden. 
Durch das Erdbeben kam es in den Kraftwerksanlagen zu einem Versagen der elektrischen Energieversorgung. Die Diesel-Notstromaggregate sprangen an und versorgten das Kraftwerk die erste Stunde nach dem Erdbeben mit Strom, um die Hochdruckpumpen für die zusätzlichen Kühlanlagen am Laufen zu halten.  
Mit dem Eintreffen des Tsunamis wurden die Notstromaggegate allerdings überflutet und fielen aus. 
Als weitere Sicherheitsmassnahme standen Notbatterien zur Verfügung. Diese hielten die Kühlanlagen für weitere 8 Stunden am Laufen! Nach diesen 8 Stunden waren die Batterien leer und es war nicht mehr möglich die Restwärme der Reaktoren über die Kühlkreisläufe abzuführen.
Eine weitere  Möglichkeit der Kühlung bestand darin, von Zeit zu Zeit Wasserdampf aus dem Reaktorbehälter abzulassen. Das Ablassen von Wasserdampf kann allerdings dazu führen, dass  die Brennstäbe nicht mehr vollständig mit Wasser bedeckt sind. Brennelemente, die frei liegen, werden nicht durch die neutronenabsorbierende Wirkung des Wassers gebremst und auch nicht gekühlt, so dass sie sich immer weiter erhitzen. Falls die Temperaturen dabei über 800 °C steigen, kommt es durch die Reaktion der zirconiumhaltigen Hüllrohre der Brennstoffelemente mit Wasserdampf zur Freisetzung von Wasserstoff. Beim Ablassen von Wasserdampf entweicht der Wasserstoff dann mit in das Reaktorgebäude und sammelt sich unter der Decke des Gedäudes. Dies war sicher die Ursache der Explosionen in der Reaktorgebäuden 1, 2 und 3. 
Durch das Ablassen von Wasserdampf aus dem Reaktorbehälter sinkt der Wasserstand darin immer weiter. Deshalb entschied man sich als weitere Maßnahme dazu, Meerwasser in die Reaktoren zu pumpen. Das Meerwasser wurde mit Borsäure versetzt. Diese dient als Neutronenabsorber und soll die Kernspaltung weiter abbremsen.

Verteidigung in der Tiefe
Ein grundlegendes Prinzip der Konstruktion von Atomreaktoren ist die "Verteidigung in der Tiefe" ("Defence in Depth"). Diese Herangehensweise verlangt, dass ein Reaktor so konstruiert wird, dass er mehrere ernsthafte Katastrophe überstehen kann, sogar wenn verschiedene Sicherheitssysteme gleichzeitig ausfallen. Die erste Sicherheitsmaßnahme war die Schnellabschaltung des Reaktors, die zweite der Einsatz der Dieselgeneratoren, die dritte die Notbatterien. Als schließlich diese versagten, wurde eine weitere "Verteidigungslinie" errichtet, indem man von Zeit zu Zeit Druck aus dem Reaktor abließ, versuchte zusätzliche Pumpen heranzuschaffen und  die Stromversorgung wieder in Gang zu setzen. Das Fluten mit Meerwasser sollte nunmehr zumindest die Kernschmelze der Reaktoren verhinden. Selbst wenn eine Kernschmelze in einem der Reaktoren eintreten sollte, so gibt es immer noch ein zusätzliches Containment, welches so kosntruiert ist, dass es einen geschmolzenen Kern von heißem Uran auffangen soll. Dieser Bereich müsste dann verschlossen werden, so dass möglichst keine Radioaktivität in die Umgebung austritt.

Fazit
Bisher sind nur geringe Mengen Radioaktivität (Beim Ablassen von Dampf) in die Umgebung entwichen. Nach verschiedenen Einschätzungen handelt es sich um einen INES-Unfall der Stufe 4. Momentan sieht es so aus, als würden die Ingenieure der Betreiberfirma die Reaktoren unter Kontrolle bringen.
Durch das größte Erdbeben seit Beginn der Aufzeichnungen und den folgenden Tsunami sind mehr als 20000 Menschen gestorben. Diese Zahl ändert sich täglich. Die durch das gleiche Erdbeben verursachten Reaktorunfälle haben bisher kein einziges Menschenleben gekostet. (Das kann sich natürlich noch ändern.) Dieser Vergleich ist nicht zynisch gemeint! Aber behalten Sie doch bitte die Relation im Auge: Auf der einen Seite viele Tausende Tote durch eine Naturkatastrophe, auf der anderen Seite technische Apparate (die Atomreaktoren), die trotz dieser Katastrophe noch halbwegs beherrschbar bleiben und nicht einfach explodiert sind. Die Aufregung in Deutschland über die japanischen (und einheimischen) Atomreaktoren läßt viele andere Dinge dagegen in den Hintergrund treten, die vielleicht wichtiger sind.


Text teilweise übersetzt von  Fukushima Nuclear Accident – a simple and accurate explanation bei bravenewclimate.com.   

Nachtrag am 12. April 2011:  Der Reaktorunfall ist von der japanischen Atomsicherheitsbehörde heute auf Stufe 7 der INES-Berwertungsskala hoch gestuft worden. Es gab keine gravierenden neuen Ereignisse, sondern man hat die vorhandenen Daten noch einmal neu bewertet.

Fragen zum Atomunfall von Fukushima

Wozu wurde dem Kühlwasser in den havarierten Reaktoren Borsäure zugesetzt?
Borsäure (H3BO3) enthält das Element Bor. Dieses hat die Eigenschaft Neutronen zu absorbieren und die Kettenreaktion dadurch zu unterbrechen.


Warum kam es in Fukushima zur Explosion von Wasserstoffgas? 
Durch den Ausfall des Kühlsystems konnte die Wärmebildung bei der Kernspaltung nicht mehr ausreichend abgeführt werden und es kam zu einer Überhitzung im Reaktorkern. Die Hüllrohre der Brennstoffelemente und die Brennstoffkassetten der Reaktoren bestehen hauptsächlich aus Zirkonium. Dieses wird auf Grund des geringen Einfangquerschnittes für Neutronen für diesen Zweck verwendet. Ab einer Temperatur von 800 °C unterliegt dieser metallische Werkstoff einer Korrosionsreaktion mit dem Wasser im Reaktor. Dabei reagierte es unter Freisetzung von Wasserstoff zu Zirkoniumoxid entsprechend folgender Gleichung:
Zr     +     2 H2O     --->     ZrO2     +     2 H2

Der Wasserstoff sammelte sich offensichtlich im oberen Teil der Gebäudes und bildete mit dem Sauerstoff der Luft ein explosives Gemisch (Knallgas), welches zur Explosion führte.

Samstag, 19. März 2011

Links zu den atomaren Störfällen in Fukushima:

Ausführliche Informationen über die Reaktorkatastrophe von Fukushima findet man auf der Webseite von Barry Brook unter bravenewclimate.com und bei der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS). Auf letzterer Webseite gibt es auch eine Chronik der Ereignisse ("Informationen zur Lage in den japanischen Kernkraftwerken Fukushima, Onagawa und Tokai").

Freitag, 18. März 2011

Aufbau eines Siedewasserreaktors

Die Kernreaktorenin Fukushima sind allesamt Siedewasserreaktoren. Das bedeutet im Reaktor wird durch die thermische Energie der Kernspaltung ganz normales Wasser zum Sieden erhitzt. Der dabei entstehende Wasserdampf wird über Dampfturbinen geleitet und dort zur Stromerzeugung genutzt. Das Wasser dient dabei gleichzeitig als Moderator. Dieser bremst die bei der Kernspaltung von Uran entstehenden schnellen Neutronen ab. Ein solches Abbremsen ist notwendig, damit die Kernspaltung nicht zum Erliegen kommt. In der nachfolgenden Abbildung ist eine schematische Zeichnung eines solchen Atomreaktors zu sehen.
Der Aufbau eines Siedewasserreaktors erscheint zunächst vergleichsweise einfach, verfügt er doch nur über einen Wasser-Dampf-Kreislauf. Dieser Kreislauf führt die Wärme der Kettenreaktion ab und dient gleichzeitig zur Stromerzeugung. Bei Druckwasserreaktoren hat man zwei getrennte Wasserkreisläufe. Aber  bleiben wir beim Siedewasserreaktor. Das relativ einfache Konstruktionsprinzip dieses Reaktortyps ist mit einigen Nachteilen verbunden. Der Dampf der über die Turbinen strömt ist radioaktiv belastet. Damit muss auch der gesamte Turbinenraum nach außen abgeschirmt werden und Wartungsarbeiten an radioaktiv verseuchten Turbinen erfordern zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen. Ein weiterer Nachteil des Siedewassersreaktors ist eine gewisse Trägheit gegenüber der Regelung. Da im Reaktorkern fortlaufend Wasserdampf entsteht, verändern die Dampfblasen die Moderatoreigenschaften des Wassers um die Brennelemente herum. Das führt zu  Leistungsschwankungen des Reaktors, die durch Variation der Pumpleistung der Kühlmittelpumpen ausgeglichen werden müssen.





Abbildung: Prinzipskizze eines Siedewasserreaktors.  

Die obige Abbildung stellt eine Prinzipskizze dar. Technische Details zur Konstruktion und zu den Sicherheitseinrichtungen fehlen in dieser Zeichnung. Auf der Webseite des Nuclear Energy Institutes gibt es eine Zeichnung, die eine bessere Vorstellung vom technischen Design der Anlage vermittelt. Hier folgt diese Abbildung:


Abbildung: Siedewasserreaktor in Fukushima Daiichi. (Quelle der Abbildung Nuclear Energy Institute)

Mittwoch, 16. März 2011

Kernspaltung und Kernreaktoren

Aus aktuellem Anlaß ein Abschnitt über die Nutzung der Kernenergie in Atomreaktoren. 

Bei der Kernspaltung zerfallen bestimmte Atomkerne wie Uran oder Plutonium unter Freisetzung von Energie in zwei oder mehrere neue Atomkerne. Diese Reaktion kann man gezielt zur Energiegewinnung ausnutzen, entweder in einer gesteuerten Kettenreaktion im Atomreaktor oder in einer ungesteuerten Kettenreaktion bei der Atombombe.
Natürliches Uran besteht zu 99,3 % aus Uran-238, zu 0,7 % aus Uran-235 und zu 0,006 % aus Uran 234. Die Zahl 235 bedeutet dabei die Massenzahl des betreffenden Isotops. Die Massenzahl setzt sich auch der Anzahl der Protonen und der Anzahl der Neutronen zusammen. Die Massenzahl wird als hoch gestellter Index vor das Elementsymbol geschrieben. Unmittelbar darunter steht die Protonenzahl als tief gestellter Index. Die allgemeine Schreibweise für ein Uran-Isotop sieht also folgendermassen aus:  23892U =  MassenzahlProtonenzahlU. Der HTML-Code macht es mir allerdings unmöglich, die beiden Zahlen direkt untereinander zu schreiben!

Wenn man auf natürlich vorkommendes Uran langsame Neu­tronen einwirken lässt, so findet keine Kettenreaktion statt. Durch die Neutronen wird nur das Uran-235-Isotop gespalten. Die dabei frei werdenden Neutronen werden durch das hauptsächlich vorhandene Uran-238 abgefangen, dabei entsteht Uran-239:

23892U   +   n   --->     23992U  

Es findet keine Kettenreaktion statt, die Kernspaltung erlischt und es passiert gar nichts mehr. Dieser absorbierenden Eigenschaft des Uran-238 haben wir es zu verdanken, dass sich das natürlich vorkommende Uran nicht schon längst in Atomexplosionen selbst zerstört hat! Wenn man also Kernspaltungen erfolgreich durchführen will, muss man im natürlich vorkommenden Uran erst das Isotop mit der Massenzahl 235 anreichern. Zur Anreicherung von Uran-235 stellt man aus dem Rohmaterial zunächst Uranhexafluorid (UF6) her. Vom Fluor gibt es nur ein einziges Isotop. Deshalb sind die winzigen Massenunterschiede in dieser Verbindung allein auf die verschiedenen Uranisotope zurückzuführen. Uranhexafluorid ist sublimierbar, geht also direkt vom festen in den gasförmigen Zustand über. Deshalb kann man das Uran-235 in dieser Verbindung über Gasdiffusion oder mit Hilfe von Ultrazentrifugen anreichern. Für den Betrieb von Atomreaktoren wird das Uran typischerweise auf 3-5 % Uran-235 angereichert. Für Atomwaffen benötigt man eine Anreicherung auf mindestens 85 %.
Beim Beschuss von Uran-235 mit langsamen Neutronen entsteht durch Einfangen des Neutrons das Uranisotop mit der Massenzahl 236. Dieses instabile Uranisotop zerfällt unter Abgabe von 1 bis 3 Neutronen und einer großen Menge an Wärmeenergie sofort in zwei kleinere Atomkerne:

 23592U  +   n   --->  23692U   --->    Atom A   +   Atom B   + 1-3 n   + Energie

Die kleineren Atomkerne können Massenzahlen von ca. 90 bis 140 haben. Als Beispiel sei hier der Zerfall von Uran-235 in Barium und Krypton formuliert:

  23592U +   n   --->   23692U    --->   9236Kr      +     14256Ba    + 2 n   + Energie

Solche Reaktionen bezeichnet man als Kernspaltung. Bei der Kernspaltung werden riesige Energiemengen frei. Die Ursache dafür ist, dass die schweren spaltbaren Kerne wie Uran-235 oder Plutonium-239 sehr energiereich sind. Im Unterschied dazu sind die entstehenden kleineren Atome deutlich stabiler und damit energieärmer. Bei der Kernspaltung wird die in den Atomkernen des Urans oder Plutoniums gespeicherte Energie frei.
Beim Zerfall eines schweren Atomkerns entstehen Neutronen. Diese können sofort neue Kernspaltungen auslösen, sofern ausreichend spaltbares Material in der Nähe ist. Nehmen wir einmal an, bei jeder Spaltung eines Urankerns entstehen zwei Neutronen. Diese spalten zwei weitere Urankerne, dadurch entstehen vier Neutronen. Diese spalten vier weitere Urankerne usw. Die Zahl der gespaltenen Atomkerne wächst dadurch lawinenartig an. Wenn dies der Fall ist, so kommt es zur Kettenreaktion. Bei der ungesteuerten Kettenreaktion werden riesige Energiemengen explosionsartig freigesetzt.
Der Text dieses Posts ist aus dem Buch "Anorganische Chemie für Dummies" entnommen. Wer mehr über dieses Thema wissen will, schaut in dieses Buch.

Donnerstag, 10. März 2011

Gibt es fünf- und sechsfach koordinierte Kohlenstoffatome?

Ja, hier einige Beispiele für reale Verbindungen. Real bedeutet für mich, solche für die auch Einkristall-Strukturanalysen vorliegen.

Beispiel A - "Stachelschwein"-Verbindungen

Erste Beispiele für fünf-und sechsfach koordinierte Kohlenstoff-Verbindungen lieferten Schmidbaur et al. 1988-89. In drei Veröffentlichungen in der Angewandten Chemie stellten sie die Synthesen und die Analyse der Bindungsverhältnisse an zwei Goldclustern vor, die im Zentrum fünf- und sechsfach koordinierte Kohlenstoffatome besitzen. Bei den Verbindungen handelt es sich um [(Ph3PAu)5C]+ BF4- (1) und [(Ph3PAu)6C]2+ [CH3OBF3]2- (2)
Kation von 1 Dikation von 2


Die Literaturstellen in denen das veröffentlicht sind folgen hier:
Für Liebhaber an dieser Stelle noch zwei hoch aufgelöste Molekülbilder. Die Kristallstruktur der fünffach koordinierten Verbindung (1) enthält das Kation [(Ph3PAu)5C]+, das Tetrafluoroborat-Anion (BF4-, rechts) und darüber hinaus noch im Kristallgitter eingeschlossenes Methylenchlorid (CH2Cl2, links).

Die Kristallstruktur der sechsfach koordinierten Verbindung  (2) besteht nur aus dem Kation [(Ph3PAu)6C]2+ und zwei Molekülen des Anions [CH3OBF3]2-.  
Klicken Sie auf die Bilder, falls Sie diese größer sehen wollen! 
Bei beiden Strukturen erkennt man sehr schön die dreidimensionale Umhüllung des Goldclusters mit Triphenylphosphan-Resten, die zur Stabilisierung des Kations beitragen. Die Autoren um Schmidbaur wiesen darauf hin, dass das zentrale Kohlenstoffatom "nicht als hypervalent bezeichnet werden kann." Die Bindungsordnung zwischen dem zentralen Kohlenstoffatom und den umgebenden Goldatomen liegt bei 0,8. Die Stabilität dieser Verbindungen ist vermutlich auf Gold-Gold-Wechselwirkungen zurückzuführen.


 

Beispiel B - Ein Zirconocenderivat 


Ein weiteres Beispiel für eine fünffach koordiniertes Kohlenstoffatom finden wir in der Verbindung
Cp2Zr[CH2(BH{C6F5}2)2] (3). Diese Verbindung entsteht bei der Reaktion von Bis(pentafluorphenyl)boran mit Bis(η5-cyclopentadienyl)dimethylzirconium. Das Zirconiumatom, zwei Boratome und zwei Wasserstoffatome sind an ein Kohlenstoffatom koordiniert. Wenn man eine Erklärung für die Bildung dieser Struktur sucht, so könnte man sagen, dass diese Verbindung durch Verknüpfung eines koordinativ ungesättigten Zirconocen-Dikations [Cp2Zr]2+ mit einem Diboranatomethan-Dianion [CH2(BH{C6F5}2)2] 2- entsteht.









Beispiel C - Ein "nacktes" Neodym-Ion sucht Liganden

Die Verbindung [Nd(AlMe4)3]⋅0.5 Al2Me6 (4) wurde durch Reaktion von Al2Me6 mit [Nd(NMe2)3(LiCl)3] erhalten. Die Molekülstruktur der Verbindung zeigt, dass das Neodymatom symmetrisch von 6 Methylgruppen umgeben ist, die verbrückend an Aluminiumatome gebunden sind. Dadurch sind diese 6 Methyl-Kohlenstoffatome fünffach koordiniert (siehe Abbildung).







Rein formal betrachtet wird ein "nacktes" Neodym(3+)-Ion durch diese sechs Methylgruppen koordinativ umhüllt. Als Triebkraft für die Bildung dieser Verbindung könnte man also die starke koordinative Ungesättigtheit des Neodym-Ions betrachten. Auch diese Verbindunge ist in gewisser Weise ein Exot. Sie ist nur in völlig luft- und wasserfreier Umgebung beständig und zersetzt sich oberhalb von -40 °C! Von der Verbindung wurde eine Strukturanalyse mittels Neutronenbeugung durchgeführt, so dass also auch die Positionen der Wasserstoffatome genau bestimmt worden sind.

Literaturstelle: W. T. Klooster, R. S. Lu, R. Anwander, W. J. Evans, T. F. Koetzle, R. Bau: Neutronenbeugung an [Nd(AlMe4)3]⋅0.5 Al2Me6 bei 100 K: ein erster detaillierter Blick auf eine verbrückende Methylgruppe mit trigonal-bipyramidalem Kohlenstoffatom; Angew. Chemie 110 (1998) 1326–1329.

Es gibt auch eine Reihe verwandter Verbindungen mit verbrückenden Methylgruppen. Diese haben die allgemeine Struktur 5, mit M = Sc, Y, Gd, Dy, Ho, Er, Tm, Yb, siehe J. Holton, M. F. Lappert, D. G. H. Ballard, R. Pearce, J. L. Atwood, W. E. Hunter, J. Chem. Soc. Dalton Trans. 1979, 45. Hierbei kommt das gleiche Prinzip der koordinationschemischen Stabilisierung zum Tragen. Als koordinativ ungesättigtes Fragment wirkt die Metallocen-Einheit (Cp2M+), diese wird durch ein Methylaluminat-Anion (Me4Al-) stabilisiert.




Weitere Ideen und Konzepte zu höher koordinierten Kohlenstoffatomen findet man im Blog von  Henry Rzepa (Imperial College London). Siehe z.B.:
Hierbei stehen allerdings theoretische Überlegungen und berechnete Moleküle im Vordergrund. Deshalb möchte ich diese mehr hypothetischen Verbindungen nicht im Detail diskutieren.




Zurück zu unserer Frage vom Anfang des Artikels: Gibt es fünf- und sechsfach koordinierte Kohlenstoffatome?
Ja, aber das sind besondere Moleküle mit ganz spezieller Koordinationsumgebung. Man könnte sie auch als Exoten bezeichen.