Montag, 12. Oktober 2015

Resurrection of Hypervalence

Wiederauferstehung der "Hypervalenz"?


Das Konzept der Hypervalenz wurde in den letzten Jahren mehrfach in Frage gestellt oder ganz abgelehnt. So gibt es mehrere Veröffentlichungen von Stalke und Mitarbeitern, in denen diese auf der Grundlage von experimentellen Elektronendichteuntersuchungen und quantenchemischen Berechnungen zeigen konnten, dass bei den untersuchten Verbindungen keine wirkliche "Hypervalenz" vorliegt. Die Autoren untersuchten dazu verschiedene Phosphor-, Silicium- und Schwefelverbindungen (Literaturstellen am Ende des Posts). Dabei konnten sie zeigen, dass stark ionische Bindungsverhältnisse vorliegen, die hohe positive Ladungen am höher koordinierten Zentralatom erzeugen. Damit benötigt man - nach Aussage von Stalke et al.- das Konzept der Hypervalenz nicht länger, sondern sollte lieber von "hyperkoordinierten Verbindungen" sprechen.

Einen neuen Ansatz zur Betrachtung höher koordinierter Verbindungen der Hauptgruppenelemente verfolgt Marcus Durrant. Er hat einen quantitativen Parameter zur Analyse der Hypervalenz entwickelt. Dabei wird folgendermaßen vorgegangen:
  • In einem ersten Schritt werden die Atomladungen der untersuchen Verbindung mit geeigneten quantenchemischen Methoden berechnet. (Alternativ kann man auch Werte aus der Literatur verwenden.) QTAIM- und NBO-Ladungen sind dabei vermutlich besser geeignet als Hirshfeld- oder Mulliken-Ladungen (Zeile 1 in den Abbildungen). 
  • Dazu zeichnet man sich die möglichen Valenzstrukturen auf und schreibt die formale Atomladung am Zentralatom dazu (Zeile 2). 
  • Anschließend wird ausgerechnet, in welchem Verhältnis die Valenzstrukturen miteinander kombiniert werden müssen, um die berechnete Ladung zu reproduzieren (Zeile 3). 
  • In einem weiteren Schritt werden die dem Zentralatom zur Verfügung stehenden Valenzelektronen gezählt (Zeile 4).  Im unten stehenden Beispiel des Nitrations stehen dem Stickstoffatom in der linken Valenzstruktur 10 und in der rechten Valenzstruktur 8 Valenzelektronen zur Verfügung.
  • In einem letzten Schritt wird das Valenzelektronenäquivalent "γ" am Zentralatom berechnet. Dazu verwendet man die Verhältniszahlen aus der Ladungsberechnung (also 0,15 und 0,85 beim Nitration) und multipliziert diese Werte mit der Anzahl der Valenzelektronen der jeweiligen Valenzstruktur (Zeile 5).
 Abbildung 1: Berechnung des Valenzelektronenäquivalents γ für das Nitrat-Ion.

Beim Beispiel Nitrat-Ion (Abbildung 1) kommt ein Valenzelektronenäquivalent von γ(N)=8,3 heraus. Das bedeutet, dass hier nur eine leichte Überschreitung des Elektronenoktetts vorliegt.
Dieses Beispiel ist noch nicht sehr überzeugend. Daher hier noch die Berechnung für das Perchlorat-Ion:

 Abbildung 2: Berechnung des Valenzelektronenäquivalents γ für das Perchlorat-Ion.

Beim Perchlorat-Anion beträgt das Valenzelektronenäquivalent γ(N)=9,1. Damit liegt eine deutliche Überschreitung des Elektronenoktetts am Chloratom vor. Das Chloratom ist demnach in diesem Anion hypervalent. 

Mit der von Durrant vorgeschlagenen Methode rechnet man sozusagen aus, wieviel Valenzelektronen dem Zentralatom tatsächlich zur Verfügung stehen. Dazu mischt man die möglichen Valenzstrukturen in einem Verhältnis, welches sich aus der tatsächlichen Ladung am Zentralatom ergibt.
Atome, bei denen das Valenzelektronenäquivalent γ kleiner oder gleich 8 ist, sind nicht hypervalent. Atome bei denen γ größer 8 ist, gehorchen nicht der Oktettregel und sind hypervalent.

Die Methode ist zunächst rein theoretischer Natur, hat aber einen realen Hintegrund. Schließlich sollten die QTAIM-Ladungen die reale Elektronendichteverteilung im Molekül widerspiegeln. Daraus abgeleitet berechnet man mit dieser Methode eigentlich nur, wieviel Elektronen dem Zentralatom zur Vergügung stehen / an wieviel Elektronen es beteiligt ist.


Literatur zum Valenzelektronenäquivalent γ:

Literatur in der das Konzept der Hypervalenz in Frage gestellt wird:

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