Samstag, 2. April 2016

Raw Materials and Resources - Excursus C

Exponentielles Wachstum

Im letzten Post wurden exponentielle Wachstumsprozesse erwähnt. So vermehren sich z. B. Bakterien extrem schnell. „Bei günstigen Bedingungen teilen sie sich alle 20 - 30 Minuten. Bei ungehemmtem Wachstum könnten demnach innerhalb von wenigen Tagen so viele Bakterien entstehen, dass die ganze Erde von einer 30 Zentimeter hohen Schicht bedeckt wäre. Unter natürlichen Bedingungen aber wird diesem exponentiellen Wachstum durch Platz- oder Nährstoffmangel und durch Anreicherung toxischer Stoffwechselprodukte vorzeitig ein Ende gesetzt.“ (Quelle) Exponentielles Wachstum ist für den menschlichen Verstand schwierig zu verstehen. Daher führen solche rasanten Wachstumsprozesse häufig zu irrationalen Ängsten. Einige Beispiele aus der letzten Zeit sind unter der Überschrift „Exponentielles Wachstum ist nicht beherrschbar“ ein einem Artikel in der „Welt“ vom 15.09.14 zusammengefasst. Dort heißt es unter anderem: „Exponentielles Wachstum ist vom Menschen nicht zu stoppen. Beispiel Ebola: Die Zahl der Opfer verdoppelt sich alle drei Wochen. Und auch die CO2-Konzentration könnte plötzlich exponentiell zunehmen.“
Manfred Eigen erklärt die Zusammenhänge zwischen exponentiellen Wachstumsprozessen in der Biologie und deren Begrenzung durch Mangel sehr sachlich in seinem Buch: „Jenseits von Ideologien und Wunschdenken“. Darin heißt es unter anderem: „Lebewesen entstehen durch Reproduktion schon vorhandener. Im einfachsten Fall bedeutet Reproduktion eine geometrische Progression: 1, 2, 4, 8, 16, 32 … Allen derartigen Progressionen ist gemeinsam, dass die Mengen in gleichen Zeitabschnitten um den gleichen Faktor zunehmen, im Unterschied zu arithmetischen Progressionen, bei denen die Mengen in den gleichen Zeitabschnitten um den gleichen Betrag zunehmen.“ Mathematisch betrachtet handelt es sich bei einem exponentiellen Wachstum um eine e-Funktion: y=ex. Diese Funktion ist im Vergleich mit anderen Funktionen in Abbildung 1 dargestellt.
Abbildung 1: Grafische Darstellung von Wachstumsprozessen.

„Nichts kann in einer endlichen Welt unendlich werden.“ (Manfred Eigen) Daher werden exponentielle Wachstumsprozesse immer durch Mangel begrenzt und es kommt zu nicht vorhersehbaren Diskontinuitäten. Dabei geht das exponentielle Wachstum häufig in eine logistische Kurve über. Dabei ist es egal, ob es sich um das Wachstum der Weltbevölkerung, Bakterienpopulationen oder Ebola-Kranke handelt.
Abbildung 2: Allgemeine Form der logistischen Kurve.

Die logistische Kurve hat einen typischen S-förmigen Verlauf (siehe Abbildung 2) und wird durch folgende Funktion beschrieben:
a, b und c sind Konstanten, a und c sind größer als 0. Wenn b größer 0 ist, dann beschreibt die Funktion einen Wachstumsprozess, wenn b kleiner 0 ist, einen Zerfallsprozess. Es gibt zwei horizontale Asymptoten: eine bei y=0 und die andere bei y=c. Die Funktion hat ihren Wendepunkt bei 0,5c. (Quelle)

Die Idealform der logistischen Kurve (a in Abbildung 3) findet man bei verschiedenen biologischen Experimenten. Es kann sich dabei um das Wachstum von Stangenbohnen, das Wachstum einer Bakterienkultur oder die Anzahl von Fruchtfliegen in einer Flasche handeln. Voraussetzungen sind dabei ein konstantes Nahrungsangebot und eine abgeschlossene kontrollierte Umgebung mit gleichmäßigen Bedingungen für das jeweilige Experiment. Die logistische Kurve findet man auch in anderen Bereichen: die Streckenlänge von Eisenbahnlinien, der Lebenszyklus eines Produktes am Markt, die Entwicklung des Erwerbs der Muttersprache oder die Ausbreitung von ansteckenden Krankheiten sind weitere Beispiele.
Abbildung 3: Formen logistischer Kurven bei der Annäherung an den Sättigungswert nach de Solla Price.

In der Realität beobachtet man allerdings häufig Kurven, die vom idealen S-förmigen Verlauf deutlich abweichen (b bis d in Abbildung 3). Die verschiedenen Abweichungen hat Derek J. de Solla Price in seinem Buch „Little Science, Big Science“ beschrieben. In den Produktionszahlen von technischen Rohstoffen wie Kohle, Stahl oder Kupfer treten häufig Oszillationen auf. Diese können konvergent (b) oder divergent oszillieren (c). Allerdings weisen statistische Daten des U.S. Geological Survey darauf hin, dass bei zahlreichen Bodenschätzen immer noch ein exponentielles Wachstum der Produktionsziffern vorliegt (Quelle: Historical Statistics for Mineral and Material Commodities in the United States, U.S. Geological Survey Data Series 140).

Es gibt auch eskalierende Kurven (d), bei denen mehrfach ein scheinbarer Sättigungswert angesteuert wird. Durch Änderung der äußeren Bedingungen kann es aber zu erneutem Wachstum kommen. Beispiele für solche Eskalationen sind:
  • Die Zahl der Universitätsgründungen. Eine erste Stufe wurde ca. 1600 mit dem Einsetzen der Renaissance, die zweite Stufe während der industriellen Revolution überschritten.
  • Die Energie von Teilchenbeschleunigern. Jede neue technologische Enzwicklung auf diesem Gebiet führt zu einem erneuten Wachstumsschub (Quelle: M. S. Livingston und J. P. Blewett: “Particle Accelerators”, McGraw-Hill Book Company Inc., New York 1962, Seite 6, Abb. 1-1).
  • Die Zahl der bekannten chemischen Elemente über der Zeit (Abbildung 4). In der Antike waren nur zehn Elemente bekannt. Ab 1730 findet ein exponentielles Wachstum statt. Dieses erreicht den Wendepunkt etwa 1810 als Sir Humphry Davy mehrere Elemente entdeckt hatte. Als die ersten 60 Elemente entdeckt waren, kam es zu einer Abschwächung des Wachstums, die erste „Stufe“ war erreicht. Ende des 19. Jahrhunderts führten physikalische Methoden zur Entdeckung neuer Elemente (radioaktive Elemente, Edelgase, Lanthanoide). Dabei wurden mehrere Eskalationsstufen in der Statistik überwunden. Im zwanzigsten Jahrhundert wurden zahlreiche kurzlebige Elemente entdeckt. Gegenwärtig werden nur noch sehr wenige und sehr instabile Elemente nachgewiesen. Somit hat die Wachstumskurve hier (vorerst) eine Sättigungsgrenze erreicht.

Abbildung 4: Schematische Darstellung der Entdeckungsgeschichte der chemischen Elemente, nach de Solla Price.

Die Entdeckungsgeschichte der Elemente zeigt sehr gut, wie menschlicher Erfindergeist immer wieder vorgegebene Grenzen überwindet. Ob dies auch bei der Gewinnung und Nutzung natürlicher Ressourcen gelingt, bleibt noch abzuwarten.

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