Samstag, 30. Januar 2021

The Graphical Abstract

Die Kunst des Abstracts

Viele chemische Fachzeitschriften nutzen für ihr Inhaltsverzeichnis grafische Abstracts. Dabei handelt es sich um eine visuelle Darstellung des Inhalts eines wissenschaftlichen Artikels. In anderen Disziplinen wird der grafische Abstract bisher wenig genutzt. 

Chemie ist eine visuelle Wissenschaft. Viele Sachverhalte lassen sich durch Strukturen und Strukturformeln ausdrücken. Daher ist es kein Wunder, dass grafische Abstracts hauptsächlich in der Chemie und angrenzenden Wissenschaften genutzt werden. Die Angewandte Chemie war 1976 die erste Zeitschrift die grafische Abstracts regelmäßig in ihre Inhaltsverzeichnisse integrierte. Die International Edition der Angewandten übernahm das 1977. Tetrahedron Letters verwendeten die grafischen Abstracts seit 1986, Chemical Communications seit 1994 und Journal of the American Chemical Society erst 2002. 

Was sind die Funktionen eines grafischen Abstracts? 

Einmal soll er die Aufmerksamkeit des Lesers auf diesen Artikel lenken. Dafür braucht man ein auffälliges grafisches Element, einen Blickfang. Dieser muss nicht einmal etwas mit Chemie zu tun haben, es reicht aus, Neugier zu erzeugen (Abbildung 1). 



 Not a fidget spinner! Thiocyameluric acid C6N7S3H3, the tri‐thio analogues of cyameluric acid, is a key compound for the synthesis of new s‐heptazine (tri‐s‐triazine) derivatives. Here, two different routes for the synthesis of thiocyameluric acid and its reaction to tris(aryldithio)‐ and tris(alkyldithio)cyamelurates C6N7(SSR)3 are reported as well as transformation to alkali metal thiocyamelurates M3[C6N7S3], M=Na, K.

Abbildung 1: Graphical Abstract in Anlehnung an eine Publikation in Chemistry – A European Journal

 

 

Zum anderen stellt der grafische Abstract im Idealfall das wichtigste Ergebnis einer Arbeit dar, sozusagen die Quintessenz oder Take-Home-Message eines Artikels. Hier schießen manche Autorenteams über das Ziel hinaus: Es ist kaum möglich eine vielstufige Synthesesequenz in einen grafischen Abstract zu quetschen, dann wird man nichts mehr erkennen können (Abbildung 2).
Weitere Beispiele für grafisch übertriebene Abstracts findet man hier.

 


A Synthesis of Oxymorphon from ready available sources. Oxymorphone is indicated for the relief of moderate to severe pain, such as treatment of acute post surgical pain.

Abbildung 2: Hypothetischer Graphical Abstract mit einer mehrstufigen Synthese.

 

Ebenso wenig ist es sinnvoll, das Bild einer Strukturanalyse aus der Publikation einfach zu verkleinern und in den grafischen Abstract zu packen (Abbildung 3). Häufig kann man auch da nichts mehr erkennen. 


The heteroscorpionate ligand 2,2-bis­(3,5-di­methyl­pyrazol-1-yl)-1,1-di­phenyl­ethanol and an easy preparation of its tungsten complex

Abbildung 3: Graphical Abstract in Anlehnung an eine Publikation in Acta Cryst C.

 

Eine klare, einfach zu erkennende Grafik ist oft die beste Lösung für den grafischen Abstract (Abbildung 4).

 


Light it up: In-situ cryo crystallization and structure analysis reveal the solid state structures of several pyrophoric hydridosilanes.

Abbildung 4: Graphical Abstract einer Publikation in Chemistry Open

 

Grafische Abstracts funktionieren nicht nur in gedruckten Zeitschriften, sondern helfen Lesern auch beim Durchscrollen der Inhaltsverzeichnisse auf dem Bildschirm. Als Leser muss man dann nicht unbedingt nach Stichworten oder Autorennamen suchen, sondern kann sich von den Grafiken inspirieren lassen. Die Entwicklung geht weiter und einige Zeitschriften bieten inzwischen auch Animationen und Videos in ihren Inhaltsverzeichnissen an (table of contents – TOC) an. 

 

Der Eintrag beruht zum großen Teil auf einem Artikel in Nature Chemistry. Hier der Link zum Originaltext.

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