Montag, 6. April 2015

The State of German Universities

Der Zustand unserer Universitäten


Viel hat sich in den letzten zehn Jahren in der Bildungslandschaft verändert: Einführung der Bachelor-und Masterabschlüsse und Modularisierung der Studiengänge im Zuge des Bologna-Prozesses, Exzellenzinitiativen, Eliteuniveritäten, Institutes of Technology, vielfältige neuartige und auch englischsprachige Studiengänge in Deutschland. Eine gründliche Auseinandersetzung mit diesen Prozessen liefert Konrad Paul Liessmann in seinen Büchern "Theorie der Unbildung: Die Irrtümer der Wissensgesellschaft" und "Geisterstunde: Die Praxis der Unbildung".

In der "Theorie der Unbildung" setzt er sich zunächst mit der Wissensgesellschaft auseinander, denkt laut über Bildung, Halbbildung und Unbildung nach bevor er sich den PISA-Studien zuwendet. In dem Kapitel „Pisa: Der Wahn der Rangliste“ stellt er fest: „Der Stand von Bildungspolitik heute ist durch einen einfachen Satz zu beschreiben: Sie erschöpft sich im Schielen auf die Ranglisten. (…) Alle relevanten und auch in der Öffentlichkeit heftig diskutierten bildungspolitischen Entscheidungen der letzten Jahre sind entweder durch einen schlechten Listenplatz motiviert oder geboren aus dem Wunsch, einen besseren Listenplatz zu erreichen. (...) Nicht einmal ein diffuser Bildungsbegriff, schon gar nicht ein gesellschaftspolitisches Konzept von Bildung zeichnet sich hinter gegenwärtiger Bildungspolitik ab, sondern diese lässt sich auf einen einzigen Satz reduzieren: Wo stehen wir?“ (Seite 74, Link zum Text bei Google Books)
Weiter schreibt er zur vermeintlichen Wettbewerbssituation zwischen Universitäten: "Es ist ein Irrtum zu glauben, daß die diversen Rankings von Universitäten eine tatsächliche Wettbewerbssituation widerspiegelten. Auch in einer globalisierten Gesellschaft konkurriert die Universität Klagenfurt nicht mit der Universität von Shanghai um die besten Forscher und begabtesten Studenten. (...) Es gibt - entgegen den verbreiteten Meinungen - keine wirklich gesicherten Ergebnisse, die zeigten, daß der Bildungsstand der Bevölkerung, daß Akademikerraten, Rankingplätze oder die Anzahl sogenannter Eliteinstitutionen unmittelbar mit der ökonomischen Prosperität, der sozialen Sicherheit oder dem zivilisatorischen Status eines Landes zu tun haben." (Seite 82, Link zum Text bei Google Books)
Im weiteren Verlauf des Kapitels schlußfolgert er, dass die Rankings und Bewertungsrituale zu einer Umstrukturierung der Bildungslandschaft führt, "die eindeutig nicht mehr der Erkenntnis, der wissenschaftlichen Neugier und der akademischen Freiheit, sondern den Phantasmen der Effizienz, der Verwertbarketi, der Kontrolle, der Spitzenleisung und der Anpassung verpflichtet ist: Gestalten der Unbildung allesamt." (S.87)
Im Kapitel "Wieviel wiegt Wissen" beschreibt er zunächst, wie schlecht Immanuel Kant als Hochschullehrer in der Gegenwart evaluiert worden wäre. Nach diesem eindrucksvollen Gedankenexperiment setzt er sich mit der Evaluation als solcher auseinander. Weitere Kapitel widmen sich dem Bologna-Prozess und der Elitenbildung. Insgesamt stellt dieses Buch eine scharfsichtige Analyse der gegenwärtigen Situation der Bildungslandschaft dar und ist für jeden mit dieser Thematik Beschäftigen absolut lesenswert.


In dem 2014  erschienenen Buch "Geisterstunde: Die Praxis der Unbildung" von K. P. Liessmann geht es weiter ins Detail. Zunächst beschreibt er den durch die Ergebnisse der PISA-Studien ausgelösten Aktionismus der Bildungspolitiker und wendet sich dann dem "Akademisierungswahn" der mit dem Bologna-Prozess verbunden ist zu. So schreibt er z.B. in Kapitel 1. PISA, Panik und Bologna: "Tatsächlich wird der Forderung nach einer Erhöhung der Akademikerquote nicht durch ein entsprechendes Angebot an universitären Einrichtungen entsprochen - das käme viel zu teuer -, sondern durch zwei prekäre Strategien: Durch Nobilitierung bestimmter berufsorientierter Ausbildungsgänge mittels eines entsprechenden akademischen Abschlusszertifikats; und durch eine flächendeckende "Dequalifizierung" der Studien im Zuge der Bologna-Reform. Erlaubte doch die Bologna-Reform, die so gut wie alle ihre Ziele verfehlt hat, vor allem eines: eine Verschulung und Entwissenschaftlichung der Bachelor-Studiengänge und damit eine Entakademisierung der Universitäten. Die Akademikerquote wird dadurch zweifellos steigen; aber die immer zahlreicher werdenden Akademiker werden keine mehr sein." (S.20-21; Link zum Text bei Google Books) Wie falsch und unnötig übrigens eine steigende Akademikerquote für Deutschland ist, zeigt eine Veröffentlichung des Bundesinstitutes für Berufsbildung mit dem Titel: "Akademikerüberhang und Fachkräftemangel: Wie entwickelt sich die berufliche Qualifikationsstruktur?"
Zu den vielfältigen neuen Studienangeboten, die einige Universitäten im Buhlen um noch mehr Studenten erfinden, schreibt er: "Gegenüber der klassischen Fakultätenordnung, die bis Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts gültig war, beobachten wir seit einigen Jahrzehnten eine rasante Vermehrung der Fächer, sowohl im Bereich der Forschung als auch vor allem im Bereich der Lehre. Die Modularisierung der Studien im Zuge der Bologna-Reform und die Generierung immer neuer Studienrichtungen, die in der Regel aus Neukombinationen ohnehin schon angebotener Module bestehen und vor allem durch ihre hochtrabenden englischen Bezeichnungen einer Universtität zu einem Profil verhelfen sollen, führen  zu einer mittlerweile nahezu unüberschaubaren Vielfalt an Studienangeboten. Dass es sich bei diesen "Mikro-Mastern" (...) in der Regel um "Mogelpackungen handelt, deren Sterben vorprogrammiert ist, vermag nur wenig über den damit verbundenen Betrug an jungen Menschen, die solch einen Master mit einer wissenschaftlichen Disziplin verwechseln, hinwegtrösten." (Kapitel 4. Fächerdämmerung, S.63; Link zum Text bei Google Books)
Sehr empfehlenswert ist auch Kapitel 5. "Powerpoint-Karaoke".

Schauen Sie am besten selbst einmal in beide Bücher hinein. Gelegenheit bietet dazu schon mal die "Blick ins Buch"-Option bei Amazon. Folgen Sie dazu einfach obigen Links.



Nachtrag im November 2015:

Passend zum Thema gibt es noch ein weiteres aufschlussreiches Buch: "Die Akademiker-Gesellschaft: Müssen in Zukunft alle studieren?" Das von T. Schultz und K. Hurrelmann  herausgegebene Buch ist in der Reihe Pädagogische Streitschriften erschienen. Darin wird das Thema unter verschiedenen Blickwinkeln betrachtet.



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